Das Neue sozial denken
Zehn Jahre Sozialwort: Katholische Verbände fordern mehr Solidarität und Gerechtigkeit
Berlin/Düsseldorf/Köln. Genau zehn Jahre nach dem gemeinsamen Wort der beiden Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland müssen wir, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), der Familienbund der Katholiken, der Bund der Deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB) feststellen, dass das Sozialwort in Vergessenheit geraten ist. Die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Analysen und Bewertungen von 1997 fanden in den politischen Entscheidungen der vergangenen zehn Jahre keine entsprechende Berücksichtigung. Sonst gäbe es für über acht Millionen Menschen in unserem Land nicht eine belastende Lebens- bzw. Arbeitssituation.
Wir katholischen Sozialverbände müssen erkennen, dass sich Armut in Deutschland nicht nur verfestigt, sondern verbreitert und mittlerweile auch die so genannte Mittelschicht erreicht hat. Die Kinderarmut in Deutschland, die Zahl der Kinder mit geringen Bildungschancen und mit einem hohen Gesundheitsrisiko steigt kontinuierlich. Das ist ein Armutszeugnis. Familien tragen weiterhin die Hauptlasten der Reformen der letzten zehn Jahre. Jungen Menschen wird es immer schwerer gemacht, den Einstieg ins Berufs- und Arbeitsleben zu finden.
„Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die bisher einseitig zu Lasten der Frauen ging, muss für Frauen und Männer gleichermaßen möglich sein“, heißt es im Sozialwort. Doch zur Verwirklichung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung durch „vermehrte Beteiligung von Männern an der Haus- und Familienarbeit“ gehört auch das Bemühen, die Familienarbeit als gleichrangig neben der Erwerbsarbeit anzuerkennen. Auch das Ziel, Frauen eine eigenständige soziale Sicherung zu ermöglichen, ist noch lange nicht erreicht.
Trotz konjunktureller und saisonaler Belebung der Wirtschaft ist die Zahl der Menschen ohne Arbeit höher als vor zehn Jahren. Wir müssen erkennen, dass die Reformversuche in der Arbeitsmarktpolitik versagt und lediglich zurweiteren Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben.
Entsolidarisierung stoppen
Die Aufforderung des Sozialwortes, sich auf allen Ebenen „für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ einzusetzen, ist im letzten Jahrzehnt eher ins Gegenteil verkehrt worden. Reformen in der Gesundheits-, Familien-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben nicht zu mehr Solidarität und Eigenverantwortung beigetragen, sondern haben zur Entsolidarisierung der Gesellschaft und zur Ausgrenzung von Arbeitslosen und Arbeitnehmern sowie ihren Familien beigetragen. Trotz politischer Initiativen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, findet sich weiterhin strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien in unserer Gesellschaft.
Wir fordern von allen Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kirche die zukunftsweisenden Ansätze des Wortes von 1997 allen Planungen und Entscheidungen zugrunde zu legen und die Herausforderungen der Zeit nicht mit einem Rückzug aus der sozialen Verantwortung zu beantworten. Das Neue muss sozial gestaltet werden, um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zu erhalten. Neben einer gerechten Vermögensverteilung sind der Ausbau des dritten Arbeitsmarktes, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die Chancengerechtigkeit zwischen Frauen und Männern, die Förderung der Familien und die Weiterentwicklung des Bildungssystems hin zu einem Instrument, das allen gesellschaftliche, soziale und berufliche Teilhabe und Teilnahme ermöglicht, gefordert. Wir fordern die Verantwortlichen in Politik, Kirche und Gesellschaft auf, ernst zu machen mit einer „Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“.
22. Februar 2007
Andrea Hoffmeier - BDKJ-Bundesvorsitzende
Elisabeth Bußmann - Präsidentin Familienbund der Katholiken
Magdalena Bogner - kfd-Bundesvorsitzende
Birgit Zenker - KAB-Bundesvorsitzende
Summary in English: Ten years ago this spring the two principal German churches, Roman Catholic and Evangelical, published a joint Social Statement stressing solidarity and social justice. Four leading Catholic women, the chairpersons of the youth, women's, workers' and family associations, have written a joint letter publicly regretting that the Churches have apparently forgotten the analyses and commitments they made in the Social Statement, that 8 million Germans are still living in precarity and that poverty is increasing. They call upon those people responsible in Church and State seriously to pursue the "future in solidarity and justice" demanded at the time by the Social Statement.
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